Sarah Philipp
Niklas Gustav ist aktuell wieder in Sioux City, Iowa, wo er während seiner Offseason trainiert und nebenbei an der Morningside University als Assistant Defensive Line Coach aushilft. Seine erfolgsverwöhnte Alma Mater steht erneut in den NAIA-Playoffs. Das Ziel der Mustangs kann nur die Championship sein. Als Spieler gewann Gustav 2018 und 2019 den nationalen Titel, im letzten Jahr war er bereits als Assistenzcoach an einer weiteren Meisterschaft beteiligt. Auch wenn wir den Mustangs und ihm viel Erfolg in den kommenden Wochen wünschen, ging es uns natürlich nicht um College-Football in den USA. Unser Interesse bestand vor allem an der letzten ELF-Saison, in der Gustav für die Raiders Tirol als Defensive End und Long Snapper auflief.
Ihr seid mit hohen Erwartungen in die Saison gestartet, hattet dann aber zwei Niederlagen und standet bei 0–2. Was lief in den ersten Wochen schief und sind bei dir schon Zweifel aufgekommen?
„Allgemein kann man einfach sagen, dass es eine komplett neue Erfahrung war – für das Team als Organisation wie auch für die Spieler. Es haben sich viele neue Spieler zusammen gefunden und zum ersten Mal zusammen gespielt und da kann es manchmal ein kleines bisschen dauern, bis alles bis ins kleinste Detail passt. Zweifel sind nie aufgekommen, weil ich jede Woche im Training unser Talent gesehen habe und ich wusste, es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir auf Hochtouren funktionieren werden.“
Ihr habt dann tatsächlich in die Erfolgsspur zurückgefunden und habt zum Beispiel Frankfurt Galaxy zu Hause geschlagen. Beim Rückspiel in Frankfurt ging es um den direkten Vergleich, den ihr trotz Niederlage gewonnen habt. Wie absurd war das und wie war das Gefühl nach Abpfiff?
„Ja, das war auf jeden Fall das erste Mal, dass ich im Football in dieser Situation war. Es hat sich schon sehr komisch angefühlt, da für mich eine Niederlage halt immer etwas Negatives ist. Da musste man sich sehr bewusst dafür entscheiden, trotz dem Gewinn des direkten Vergleiches das Spiel trotzdem als Niederlage zu sehen und die entsprechenden Lehren daraus zu ziehen.“
Eine der wichtigsten Statistiken für einen Defensive End ist die Anzahl an Sacks. Hier war bei dir auffällig, dass du hier anfangs Probleme hattest, den Quarterback zu sacken. In den letzten Wochen hast du aber bei jedem Spiel mindestens einen Sack erzielt. Am Ende warst du teaminterner Sack Leader (10.0). Warum hat es erst ab Saisonmitte geklickt?
„Ich glaube, das hatte etwas damit zu tun, dass ich das Jahr davor in der CFL sehr wenige Defense Snaps im Practice als auch in Games bekommen habe und erstmal wieder ‚auf Touren‘ kommen musste. Ich war glaube ich die ganze Season immer am Quarterback dran, aber manchmal dauert es ein bisschen wie man diesen kleinen extra Schritt schneller wird, um dann auch Sacks daraus zu produzieren. Die Entwicklung macht mich auf jeden Fall excited für nächste Saison, wo dann die lange Pause vorher wegfällt.“
Du bist ja auch zu den Raiders, weil du nochmal in Europa und gegen alte Bekannte spielen wolltest. Im Halbfinale hattest du dazu die Gelegenheit, als du in deiner Heimatstadt gegen die Hamburg Sea Devils gespielt hast. War das für dich nochmal etwas Besonderes und würdest du allgemein sagen, dass sich die Rückkehr gelohnt hat?
„Ja, das war auf jeden Fall einer der Gründe nochmal in Europa zu spielen und es hat sich auf jeden Fall gelohnt! Nicht nur in Hamburg, aber auch in den Spielen davor, konnte ich gegen alte Bekannte spielen und das habe ich sehr genossen! Dass es dann in den Playoffs nach Hamburg ging, war auf jeden Fall nochmal etwas extra besonderes.“
Trägst du eigentlich vor jedem Spiel ein St. Pauli Trikot (siehe Titelbild)?
(lacht) „Ja! Schon seit dem Anfang meiner College-Karriere trage ich eines vor jedem Spiel und es hat mir bis jetzt immer gutes Glück gebracht. Ich bin mit St. Pauli aufgewachsen und bin noch heute großer Fan. Ich kann mich sehr gut mit den Werten identifizieren, für die der Verein steht.“
Auch in diesem Jahr hat es dir individuell offenbar Glück gebracht, schließlich wurdest du in das All-Star Second Team (als Defensive Tackle) gewählt. Aber auch teamintern wurdest du mit dem #2 Raider Award ausgezeichnet. Die Auszeichnung wurde dem vor etwa einem Jahr jung verstorbenen Florian Hueter gewidmet und steht dafür, der härteste Arbeiter zu sein. Wie viel bedeutet dir die Anerkennung des Teams und dieser Award mit diesem Hintergrund im Allgemeinen?
„Der Award bedeutet mir wirklich die Welt in dem Sinne, dass ich so gut ins Team aufgenommen wurde und direkt als Raider angesehen und behandelt wurde. Dass ich dann nach diesem tragischen Event diesen Award erhalten habe, war wirklich überwältigend und eine riesen Ehre für mich!“
Der Teamabend, bei dem die Raiders die Awards vergeben haben, war gleichzeitig der letzte, an dem alle Raiders der vergangenen Saison anwesend waren. Wie in jeder Offseason werden nicht alle zurückkehren. Unabhängig davon, wie du dich entscheidest. Wie schätzt du den Abgang von Sean Shelton ein und können die Raiders das sportlich abfangen?
„Der Abgang von Sean ist natürlich sowohl spielerisch als auch menschlich ein großer Verlust! Ich glaube aber, dass das Front Office sehr zielgerichtet und konzentriert daran arbeitet, dass wir solche Verluste abfangen und uns weiter entwickeln können.“
Man merkt, bei dir brennt das Feuer noch. Dürfen sich die Fans in der ELF auf einer weitere Saison von Niklas Gustav freuen oder bist du noch unentschlossen?
„Ja auf jeden Fall! Ich bin definitiv nochmal heiß, die Performance der zweiten Hälfte vom letzten Jahr für eine ganze Saison zu zeigen und vor allem als Team ‚all the way‘ zu gehen, nachdem es letzte Saison so kurz davor war. Man wird sehen, was passiert. Ich habe auf jeden Fall nochmal Bock, aber es sind viele Faktoren, die in diese Entscheidung einfließen.“
Wenn man sich die Expansion der Liga anschaut, bekommt man auch sofort Lust auf die nächste Saison. So viele neue Teams, Ungewissheiten etc. Auf welches neues Franchise freust du dich besonders?
„Das stimmt. Es ist echt cool zu sehen, wie die Liga wächst und sich entwickelt! Es ist schwer zu sagen, gegen wen wir spielen werden, aber wir ich denke, Milan und München werden direkt sehr gute Teams sein!“
Zum Abschluss hast du einen Wunsch frei. Was würdest du an der ELF ändern, wenn du die Möglichkeit dazu hättest?
„Da jetzt noch reichlich Teams dazu gekommen sind, würde ich die Playoffs ausweiten, um noch ein paar Extra-Spiele raus zu holen und mehr Teams Playoffs-Football zu ermöglichen.“
Vielen Dank!
Stimme zu Niklas Gustav
Niklas hat 2021 das Strength & Conditioning Coaching bei Kevin Speer von Develop Athletes aufgenommen. Speer war in der letzten Saison Teil der Cologne Centurions. Bei der Auswärtsfahrt der Domstädter in Tirol trafen sich die beiden und dabei ist dieses Bild entstanden.
„Seit unserem ersten Gespräch sticht Niklas durch seine Zielstrebigkeit und Arbeitsmoral heraus. Eine Trainingseinheit zu überspringen oder nicht 100% zu geben, waren und sind nie eine Diskussion in der Zusammenarbeit mit Niklas gewesen. Gepaart mit seinem eigenen Interesse am Trainingsprozess, stand es außer Frage, dass Niklas riesige Fortschritte machen wird.“
Kevin Speer, Develop Athletes